Agrarhandel: Hungersnot muss abgewendet werden
Der Einmarsch russischer Truppen in das Staatsgebiet der Ukraine stellt die größte Verletzung des Weltfriedens seit mehr als einem dreiviertel Jahrhundert dar. Die weltweite Versorgungslage mit Getreide als wichtigstem Grundnahrungsmittel hat sich durch diese geopolitische Eskalation weiter verschärft, macht der Bundesverband Agrarhandel und der Verein der Getreidehändler an der Hamburger Börse in einer gemeinsamen aktuellen Pressemeldung deutlich. Die Ukraine, Russland und Kasachstan seien zu Schwergewichten an den Weltmärkten geworden. Zwar produzieren sie gemeinsam nur ca. 8 % der Weltgetreidemenge, sind aber für durchschnittlich 23 % des Weltexportvolumens verantwortlich. Die Ukraine allein soll in diesem Jahr mehr als 60 Mio. t Getreide ausführen. Pro Monat exportiert das Land damit mehr als Deutschland im ganzen Jahr.
Der Weizenpreis an der Matif ist binnen Monatsfrist um ca. 100 EUR/Tonne auf jetzt 360 EUR angestiegen. Mais stieg im gleichen Zeitraum um 128 EUR auf jetzt 377 EUR. Weitere Preiserhöhungen an der Supermarktkasse sind unausweichlich. In Deutschland ist es allerdings nur eine Preisfrage und keine existentielle. In Schwellenländern sieht die Sache ganz anders aus. Viele dieser Länder sind mit ihrem Import-Budget am Ende und es ist Zeit für die Bundesregierung, Programme für umfangreiche Nahrungsmittelhilfen vorzubereiten
, so der Vorsitzende des VdG, Thorsten Tiedemann.
Ähnlich kritisch beurteilen die Verbände die Situation am Düngemittelmarkt. Die Landwirtschaft ist im laufenden Jahr schlechter mit stickstoffhaltigen Düngemitteln versorgt als je zuvor. Dieser Versorgungsrückstand wird sich im Laufe der Frühjahrssaison nicht mehr aufholen lassen mit absehbaren negativen Auswirkungen bei Ertrag und Qualität für die kommende Ernte.
, gibt Rainer Schuler, Präsident des BVA, zu bedenken. Dabei zieht die Knappheit an Stickstoffdüngern weitere Kreise über die Ukraine hinaus. Selbst aus Bulgarien wird berichtet, dass die Landwirte im Herbst aufgrund hoher Preise nichts bezogen hätten und es jetzt zunehmend schwerer wird, noch an Ware heranzukommen.
Angesichts dieser Situation müssen Maßnahmen einer sicheren Energieversorgung sowie einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung in der EU mit Lebensmitteln neu diskutiert werden. Es scheint grotesk, angesichts dieser weltpolitischen Lage auf Produktivität in der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln per Verordnung oder Gesetz zu verzichten
meint Schuler mit Blick auf geplante Vorhaben wie die Farm-to-Fork-Strategie. Denn die Studie Ökonomische und Ökologische Auswirkungen des Green Deals in der Agrarwirtschaft
der Universität Kiel zeige ein Szenario, bei der die EU bei Umsetzung aller geplanten Maßnahmen des Green Deal 60 Mio. t Produktion verlieren und vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur werden würde. Der Agrarhandel steht ohne jeden Zweifel hinter den Zielen des Green Deal, empfindet diese aber als unvollständig. Die sichere Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln muss als mindestens gleichwertiges Ziel aufgenommen werden.
Anlässlich der außerordentlichen Sitzung des EU-Agrarministerrates kündigte der EU-Kommissar Janusz Czesław Wojciechowski bereits an, dass man die europäischen Ziele zur Biodiversität, Brache, Green-Deal, Farm2Fork vor dem Hintergrund der Lebensmittelsicherheit analysieren und ggfs. überdenken muss. Erste EU-Maßnahmen sollen am 08. März veröffentlicht werden.